- ERKLÄRUNG ZUR GELDPOLITIK
PRESSEKONFERENZ
Christine Lagarde, Präsidentin der EZB,
Luis de Guindos, Vizepräsident der EZB
Frankfurt am Main, 18. Juli 2024
Guten Tag, der Vizepräsident und ich begrüßen Sie zu unserer Pressekonferenz.
Der EZB-Rat hat heute beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB unverändert zu belassen. Die neu verfügbaren Daten stützen weitgehend unsere bisherige Einschätzung der mittelfristigen Inflationsaussichten. Zwar sind einige Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation im Mai aufgrund von einmaligen Faktoren leicht angestiegen, im Juni blieben die meisten Messgrößen aber unverändert oder gingen leicht zurück. Die inflationären Auswirkungen des starken Lohnwachstums wurden wie erwartet durch Gewinne abgefedert. Die Geldpolitik sorgt dafür, dass die Finanzierungsbedingungen restriktiv bleiben. Zugleich ist der binnenwirtschaftliche Preisdruck weiterhin hoch, der Preisauftrieb bei den Dienstleistungen ist erhöht und die Gesamtinflation dürfte bis weit ins nächste Jahr über unserem Zielwert bleiben.
Wir sind entschlossen, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von 2 % zu sorgen. Wir werden die Leitzinsen so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten, um dieses Ziel zu erreichen. Die Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus wird auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen. Unsere Zinsbeschlüsse werden vor allem auf unserer Einschätzung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren. Wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest.
Die heute gefassten Beschlüsse finden sich in einer Pressemitteilung auf unserer Website.
Ich werde nun näher erläutern, wie sich die Wirtschaft und die Inflation unseres Erachtens entwickeln werden. Anschließend werde ich auf unsere Einschätzung der finanziellen und monetären Bedingungen eingehen.
Wirtschaftstätigkeit
Die neu verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass die Wirtschaft des Euroraums im zweiten Quartal gewachsen ist, wahrscheinlich jedoch langsamer als im ersten Jahresviertel. Die Erholung wird nach wie vor hauptsächlich vom Dienstleistungssektor getragen, während die Industrieproduktion und die Warenexporte schwach ausgefallen sind. Die Investitionsindikatoren deuten vor dem Hintergrund einer erhöhten Unsicherheit auf ein verhaltenes Wachstum im Jahr 2024 hin. Mit Blick auf die Zukunft gehen wir davon aus, dass der Konsum die Erholung stützen wird, was auf einen Anstieg der Realeinkommen zurückzuführen ist. Ursächlich dafür sind wiederum eine niedrigere Inflation und höhere Nominallöhne. Darüber hinaus dürften die Exporte im Zuge einer wachsenden globalen Nachfrage anziehen. Zudem sollte von der Geldpolitik mit der Zeit eine geringere Bremswirkung für die Nachfrage ausgehen.
Der Arbeitsmarkt bleibt robust. Die Arbeitslosenquote lag im Mai unverändert bei 6,4 % und blieb damit auf ihrem niedrigsten Stand seit der Einführung des Euro. Die Beschäftigung, die im ersten Quartal um 0,3 % wuchs, wurde durch einen weiteren, ebenso starken Anstieg der Erwerbsbevölkerung gestützt. Im zweiten Quartal dürften mehr Arbeitsplätze geschaffen worden sein, hauptsächlich im Dienstleistungssektor. Die Unternehmen reduzieren allmählich die Zahl ihrer Stellenausschreibungen, allerdings ausgehend von einem hohen Stand.
Nationale finanz- und strukturpolitische Maßnahmen sollten darauf abzielen, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken. Dies würde auf mittlere Sicht dazu beitragen, das Potenzialwachstum zu steigern und den Preisdruck zu senken. Eine effektive, rasche und vollständige Umsetzung des Programms „Next Generation EU“, Fortschritte auf dem Weg zu einer Kapitalmarktunion und zur Vollendung der Bankenunion sowie eine Stärkung des Binnenmarkts sind wichtige Faktoren, die Innovationen fördern und zu höheren Investitionen in den grünen und den digitalen Wandel führen würden. Wir begrüßen die jüngsten Leitlinien der Europäischen Kommission, in denen die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu stärken, sowie die Stellungnahme der Euro-Gruppe zum finanzpolitischen Kurs für den Euroraum im Jahr 2025. Die vollständige und unverzügliche Umsetzung der Reform des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens der EU wird den Regierungen dabei helfen, Haushaltsdefizite und Schuldenquoten nachhaltig zu senken.
Inflation
Die jährliche Inflationsrate ist von 2,6 % im Mai auf 2,5 % im Juni zurückgegangen. Die Nahrungsmittelpreise sind im Juni um 2,4 % gestiegen, also um 0,2 Prozentpunkte weniger als im Mai. Die Energiepreise haben sich hingegen kaum verändert. Sowohl der Preisauftrieb bei Waren als auch der Preisauftrieb bei Dienstleistungen lag im Juni unverändert bei 0,7 % bzw. 4,1 %. Zwar sind einige Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation im Mai aufgrund von einmaligen Faktoren leicht angestiegen, im Juni blieben die meisten Messgrößen aber unverändert oder gingen leicht zurück.
Die Binneninflation ist weiterhin hoch. Die Löhne steigen immer noch in einem erhöhten Tempo, wodurch die zurückliegende Hochinflationsphase ausgeglichen wird. Neben einer schwachen Produktivität haben höhere Nominallöhne zu einem stärkeren Wachstum der Lohnstückkosten beigetragen, wenngleich sich dieses im ersten Quartal 2024 etwas verlangsamt hat. Das Wachstum der Arbeitskosten dürfte auf kurze Sicht erhöht bleiben, da die Lohnanpassungen stufenweise erfolgen und Einmalzahlungen einen erheblichen Beitrag zu diesem Wachstum leisten. Zugleich entsprachen die aktuellen Daten zum Arbeitsentgelt je Arbeitnehmer den Erwartungen, und die jüngsten Umfrageindikatoren deuten darauf hin, dass sich das Lohnwachstum im Laufe des nächsten Jahres abschwächen wird. Außerdem schrumpften die Gewinne im ersten Quartal, was dazu beitrug, die inflationären Effekte höherer Lohnstückkosten auszugleichen. Darüber hinaus deuten Umfrageergebnisse darauf hin, dass die Gewinne auf kurze Sicht weiterhin gedämpft bleiben dürften.
Es wird erwartet, dass die Inflation für den Rest des Jahres um das aktuelle Niveau herum schwankt. Dies ist teilweise auf energiepreisbedingte Basiseffekte zurückzuführen. In der zweiten Hälfte des nächsten Jahres dürfte sie in Richtung unseres Zielwerts zurückgehen. Ursächlich dafür sind das schwächere Wachstum der Arbeitskosten, die Wirkung unserer restriktiven Geldpolitik sowie die nachlassenden Folgen des starken Inflationsanstiegs in der Vergangenheit. Die Messgrößen der längerfristigen Inflationserwartungen sind weitgehend unverändert geblieben und liegen zumeist bei rund 2 %.
Risikobewertung
Die Risiken für das Wirtschaftswachstum sind abwärtsgerichtet. Eine schwächere Weltwirtschaft oder eine Verschärfung der Handelsspannungen zwischen großen Volkswirtschaften würde das Wachstum im Euroraum belasten. Zudem gehen von dem ungerechtfertigten Krieg Russlands gegen die Ukraine und dem tragischen Konflikt im Nahen Osten erhebliche geopolitische Risiken aus. Unternehmen und private Haushalte könnten deshalb womöglich weniger zuversichtlich in die Zukunft blicken, und es könnte zu Störungen des Welthandels kommen. Sollte die Geldpolitik eine stärkere Wirkung entfalten als erwartet, könnte dies ebenfalls ein niedrigeres Wachstum zur Folge haben. Das Wachstum könnte höher ausfallen, wenn die Inflation rascher sinkt als erwartet und die Konsumausgaben aufgrund der steigenden Realeinkommen und des zunehmenden Vertrauens stärker anziehen als gedacht oder wenn die Weltwirtschaft kräftiger wächst als erwartet.
Die Inflation könnte höher ausfallen als gedacht, wenn die Löhne oder die Gewinne stärker steigen als erwartet. Aufwärtsrisiken für die Inflation ergeben sich auch aus den erhöhten geopolitischen Spannungen. Diese könnten die Energiepreise und die Frachtkosten auf kurze Sicht in die Höhe treiben und den Welthandel stören. Zudem könnten Extremwetterereignisse und ganz allgemein die fortschreitende Klimakrise zu einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise führen. Die Inflation könnte aber auch niedriger ausfallen als angenommen, wenn die Geldpolitik die Nachfrage stärker dämpft als erwartet oder wenn sich das wirtschaftliche Umfeld in der übrigen Welt unerwartet eintrübt.
Finanzielle und monetäre Bedingungen
Die Senkung der Leitzinsen im Juni hat reibungslos auf die Geldmarktzinsen durchgewirkt. Die allgemeinen Finanzierungsbedingungen wiesen hingegen eine gewisse Volatilität auf. Die Finanzierungskosten bleiben restriktiv, da sich unsere früheren Leitzinserhöhungen weiterhin auf die geldpolitische Transmission auswirken. Der durchschnittliche Zinssatz für neue Unternehmenskredite verringerte sich im Mai leicht auf 5,1 %. Die durchschnittlichen Zinsen für Immobilienkredite lagen dagegen unverändert bei 3,8 %.
Die Kreditrichtlinien bleiben restriktiv. Den Ergebnissen unserer letzten Umfrage zum Kreditgeschäft zufolge verschärften sich die Kreditrichtlinien für Unternehmenskredite im zweiten Quartal geringfügig, wohingegen die Richtlinien für Immobilienkredite moderat gelockert wurden. Die Kreditnachfrage der Unternehmen ging leicht zurück, während die Nachfrage privater Haushalte nach Immobilienkrediten zum ersten Mal seit Anfang 2022 gestiegen ist.
Insgesamt ist die Kreditentwicklung weiterhin gedämpft. Die Jahreswachstumsrate der Bankkreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte lag im Mai bei 0,3 % und war damit nur marginal höher als im Vormonat. Das jährliche Wachstum der weit gefassten Geldmenge M3 erhöhte sich von 1,3 % im April auf 1,6 % im Mai.
Schlussfolgerung
Der EZB-Rat hat heute beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB unverändert zu belassen. Wir sind entschlossen, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von 2 % zu sorgen. Wir werden die Leitzinsen so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten, um dieses Ziel zu erreichen. Die Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus wird auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen. Unsere Zinsbeschlüsse werden vor allem auf unserer Einschätzung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren. Wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest.
Wir sind in jedem Fall bereit, alle unsere Instrumente im Rahmen unseres Mandats anzupassen, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig zu unserem Zielwert zurückkehrt, und um die reibungslose Funktionsfähigkeit der geldpolitischen Transmission aufrechtzuerhalten.
Gerne beantworten wir nun Ihre Fragen.
Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.
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